Tag 11: Reykjavik-Prestwick

Die Vereisungsprognose für die zweitletzte Etappe

Schon am Vortag habe ich die nächste Etappe geplant. Der Start war  um 0900 UTC (1100 MESZ) geplant. Das Volltanken in Reykjavik geschah mit persönlicher Kontrolle, ob die Tanks wirklich randvoll waren. 84 US Gal (318 Liter) haben Platz. Davon sind 81 US Gal (307 Liter) ausfliegbar. Dann war alles bereit…! Der Ölstand war kontrolliert (7 Quarts) und die Enteisungsflüssigkeit aufgefüllt. Auch das Cockpit war vorbereitet und eingerichtet. Da stand die Cirrus unter dem Fenster des Hotelzimmers, damit ich laufend kontrollieren kann, ob sie noch da ist!

Die Route von Reykjavik nach Prestwick lautete: BIRK DCT LUTER DCT MOXAL DCT RATSU DCT STN DCT LOMON DCT EGPK. Die Distanz war 768 NM (1’422 Km). Ausweichflugplätze waren Stornoway EGPO und Wick EGPC in Schottland.

Die Wetterprognose zeigte gutes Wetter bis Schottland. Der CIRRUS ist es auf FL 130 (4’000m) eigentlich recht wohl. Am Anfang des Fluges iwar mit einem leichten Rückenwind zu rechnen. Ab Mitte der Strecke würde es 30 – 35 Knoten Querwind geben. Am Schluss – über Schottland – würde sich jedoch eine Gegenwindkomponente entwickeln. Schottland würde in Wolken sein und auf FL 130 könnte es sogar Vereisung geben. Da die Nullgradgrenze jedoch in Schottland auf FL 100 war, wäre problemlos ein Absinken möglich. Den Flugplan wollte ich erst am Morgen vor dem Flug aufgeben, wenn die aktuellsten Wetterprognosen vorliegen.

Erbarmungslos ist dann um 0400 LT der Wecker losgegangen. Conny hat um 0430 ein Taxi nach Keflavik bestellt, da ihr Flug zurück in die Schweiz um 0720 startete. Ich nahm mir in Ruhe Zeit für ein gründliches Briefing der aktuellen Wettersituation. Viel hatte sich seit gestern Abend nicht geändert und es schien wettermässig ein problemloser Flug zu werden. Speziell interessiert hat mich die Vereisungssituation. Auch diese war unverändert und so entschied ich mich für einen Flug auf FL 110, damit ich ab Stornoway tief genug war um nicht in die Vereisungszone zu geraten, jedoch auch hoch genug um von einer möglichst grossen Funkreichweite profitieren zu können.

Die frühe Morgensonne warf ein goldenes Licht auf die N138CR und der nasse Asphalt spiegelte das Licht. Ich traute der Sache jedoch nicht. Erfahrungsgemäss kann bei Flugplätzen am Meer innert Minuten Seenebel auftauchen, der so dicht ist, dass an einen Start nicht zu denken ist.

Vor jedem dieser Nordatlantikflüge stellen ich einen genauen Zeitplan auf, welcher regelt, wann ich aufstehe, bis wann ich entschieden habe, ob der Flug wettermässig überhaupt durchgeführt werden kann, wann ich den Flugplan aufgegeben haben muss, wann gefrühstückt wird, wann ich im Hotel für die Fahrt auf den Flugplatz abgeholt werde und bis wann die Maschine startbereit sein muss. Dieses Programm wird jeden Tag stur abgespult und es hat auch noch Zeitreserven drin. Die Erfahrung zeigt, dass es jeden Tag absolut stressfrei aufgegangen ist. Abweichungen von einem derartigen Ablauf, sind immer mögliche Fehlerursachen.

Heute sah das Programm wie folgt aus:

• 0400: Tagwache
• 0600: Flugplan aufgeben (Achtung Vereisung)
• 0645: Frühstück
• 0730: Hotel auschecken
• 0800: Büro Handlingservice  Kontrollieren, ob der Tower in Reykjavik meinen Flugplan erhalten hat
• 0900: ETD Estimated Time of Departure (Startzeit)
• 1400: ETA Estimated Time of Arrival Prestwick EGPK
• 1500: Auftanken, Fahrt ins Hotel
• 1700: Flugplan nach Basel aufgegeben, Airservice Basel (die Werkstatt) über Ankunft informiert

Ich war schon etwas früher im Büro des Handling Services. Dort war schon alles bereit und nach kurzer Zeit war auch bezahlt und abgerechnet. Und dann war es Zeit, mich in den Frankenstein zu quälen. Diesen Überlebensanzug auf Überwasserstrecken zu tragen ist ein Muss, wenn man eine Überlebenschance haben will, falls man runter muss. Der Anzug schränkt jedoch die Bewegungsfreiheit ein und mit der isolierenden Unterwäsche läuft einem bei der kleinsten Anstrengung der Schweiss runter. Dafür hat man kalte und nasse Füsse, weil sich aller Schweiss unten im Anzug sammelt. Mit meiner gebrochenen Hand ist nun noch ein weiteres Element dazugekommen. Die gebrochenen Knochen durch die engen und satten Gummimanschetten zu zwängen verursacht mir höllische Schmerzen. Diese Gummimanschetten sind so satt, damit sie wasserdicht abschliessen, jedoch kann es auch passieren, dass es Hämatome gibt, wenn sie nicht schön auf der Haut aufliegen.

Mindestens würde es heute – vorläufig – das letzte Mal sein!

Als ich endlich alle Ausrüstung angeschnallt hatte, brachte mich Sigi vom FBO zur Maschine. Ich habe mich bei ihm herzlich bedankt und habe dem jungen Unternehmen Reykjavik Handling alles Gute gewünscht. Dann machte ich meinen Aussencheck, entfernte die Chokes und richtete mich im Cockpit ein. Kurz bevor ich die Startup Clearance einholte, kamen die Piloten der anderen rot-schwarzen Cirrus, welche im Lineup vor mir stand zur Maschine. Sie hätten eigentlich vor mir starten sollen, doch da gab es anscheinend noch Verzögerungen.

Der Pilot war weit über 70 und konnte den Frankenstein nicht alleine anziehen. Sigi vom Handlingservice musste ihm helfen. Auf dem rechten Sitz richtete sich eine Fluglehrerin ein, Typ Gummiball, etwas rundlich aber sprühend vor Energie. Sie kam an meine geöffnete Cockpittüre, stellte sich kurz vor, sagte mir, dass sie nach Wick EGPC in Schottland fliegen würden und schlug vor, dass wir auf dem gemeinsamen ersten Teilstück auf der Frequenz 123.45 miteinander plaudern könnten. Ich habe mit einem freundlichen Lächeln «gerne» geantwortet, im Wissen, dass ich das eh nicht machen würde. Wenn ich etwas hasse, dann ist es derart unnötiges Geplapper auf einer Strecke, wo man sich immer bemühen musste, um mit irgend einer Bodenstation Verbindung zu haben.

Als sie weg war, holte ich auf der Ground-Frequenz die Startup Clearance ein. Die Route welche ich erhielt, entsprach bereits nicht mehr jener, welche ich gewünscht und auch bestätigt erhalten hatte. Sie lautete nun LUTER – MOXAL – RATSU – BARKU – LOMON. Flightlevel 110 wurde bestätigt und der Squawk war 2704. Ich startete den Motor, der sofort willig ansprang, fuhr die Systeme hoch und lud die Route vom iPad aufs Flightmanagementsystem. Mittlerweile hat – wie befürchtet – stockdicker Seenebel die ganze Piste dicht gemacht. Dies konnte jedoch schnell wieder ändern.

Als alle Systeme hochgefahren waren und die minimale Öltemperatur von 80 Fahrenheit erreicht war, holte ich auf der Tower-Frequenz die Rollbewilligung ein. Der Tower-Lotse gab mir gleich die Startbewilligung und ich habe ihn deshalb gebeten, auf dem Taxiway noch einen Magnetcheck und mein Departure Briefing zu machen.

Am Holding Point stellte ich fest, dass ein Start gut möglich war. Die Sicht auf der Pistenachse war mehr als genügend und im Nebel sah man durch Lücken den blauen Himmel darüber.

Ich startete um 0823 UTC auf Piste 19 in südlicher Richtung mit der Auflage, in der Pistenachse bis auf 6’000 ft zu steigen. Doch kaum war ich über der Nebeldecke, gab man mir die Clearance, direkt zum Punkt RATSU zu drehen und weiter auf den gewünschten Flightlevel 110 zu steigen. RATSU war noch mehr als zwei Stunden von meiner jetzigen Position entfernt!

Bald war ich auf FL 110 und bewunderte die vielfältige Landschaft Islands. Island und Grönland sind nicht zu vergleichen. Während Grönland Deine Seele mit den Distanzen, dem Eis, der Einsamkeit und dem lebensfeindlichen Umfeld kombiniert mit einer unfassbaren Schönheit dominiert, ist Island eher farbig und vielfältig. Ich habe mir schon oft überlegt, dass Island eigentlich «Greenland» heissen sollte, weil es so grün ist und Grönland eher «Iceland» weil es dort so viel Eis hat.

Meine Gedanken wurden jedoch bald gestört, als ich auf 123.45 MHz das Geplapper der Amerikanerin gehört habe. Ich habe mich entschieden, einfach nicht zu reagieren. Doch sie hat es zwei Stunden lang immer wieder probiert und ich war froh nach Prestwick und nicht nach Wick zu fliegen wie sie.

Bald sah man nichts mehr vom Atlantik und nur noch ein Wolkenmeer

Die Frequenzreihenfolge auf dem Flug war die Folgende:

• 119.0 MHz: Reykjavik Departure
• 119.7 MHz: Reykjavik Control
• 127.875 MHz: Primärfrequenz Iceland Radio (bis ca. zum Waypoint RATSU)
• 129.625 MHz: Sekundärfrequenz von Iceland Radio, falls man bei RATSU keinen Kontakt auf der Primärfrequenz bekommt. Hier konnte ich schliesslich bei RATSU meine Positionsmeldung machen.
• 128.675 MHz: Scottish Control, Primärfrequenz.
• 133.680 MHz: Scottish Control, Sekundärfrequenz. Nachdem ich bei BARKU auf der zugewiesenen Frequenz keinen Kontakt bekommen habe, habe ich es hier versucht. Der Lotse war unglaublich gestresst und seine Hauptaufgabe schien die Koordination des Linienverkehrs weiter über mir zu sein. Trotzdem hat er mich gebeten, auf seiner Frequenz zu bleiben, bis ich endlich auf 128.675 Verbindung bekam.
• 127.275 MHz: Scottish Control. Hier hat man mich bis in die Nähe von Prestwick übernommen.

Der Flug verlief sonst problemlos. Die Wetterplanung ist 100-prozentig aufgegangen. Ich war nie in Vereisungsbedingungen und befand mich über Schottland in einer Zwischenschicht.

Das Wetter kam aus Westen

Anflug über den Firth of Clyde

Als ich dann endlich absinken konnte, gab man mir einen Instrumentenanflug auf die Piste 19 in Prestwick. Auf einer Höhe von 4’000 ft bin ich unter der Wolkenbasis in Sichtbedingungen gekommen, unter mir der Firth of Clyde. Eigenartigerweise musste ich zuerst den Localizer interzeptieren, durfte dann jedoch auf dem Gleitweg lange nicht absinken und musste auf den 4’000 ft bleiben. Als ich dann endlich absinken durfte, musste ich den Gleitweg von oben interzeptieren. Daran hat der Autopilot wenig Freude und so entschloss ich mich, dies trotz dem starken Wind und der gebrochenen Hand manuell zu fliegen – was dann auch gut gelang. Nach einem fast fünfstündigen Flug landete ich um 1317 UTC auf der Piste 19 in Prestwick und hatte noch Sprit für weitere zwei Stunden in den Tanks.

Ich wurde schon erwartet und ein Follow Me Fahrzeug brachte mich zum Abstellplatz. Als ich Ausstieg, begann es fürchterlich zu regnen. Doch trotzdem habe ich zuerst die Betankung organisiert und mich – einmal mehr unter Schmerzen – zum letzten Mal aus dem Frankenstein geschält. Da stand ich in Unterhosen, T-Shirt und Socken im Regen…, ein Bild für Götter…!

Als ich in das Gebäude des Handling Services kam, war da ein Franzose, der mit einer PC-12 NG gekommen war. Er hat mich freundlich begrüsst und da ist mir aufgefallen, dass er eine Jacke mit dem ORBIFLY-Logo hatte, der Flugschule, wo ich meine Instrumenten- und Commercial-Lizenz gemacht hatte. Wir konnten es nicht sein lassen und Alex – meiner ehemaligen Fluglehrerin – ein Selfie zu schicken.

Zufall: Olivier, ein ehemaliger Fluglehrer der ORBIFLY war mit seiner PC-12 in Prestwick

Ein Taxi brachte mich ins Hotel, doch schon bei der ersten Kreuzung realisiert ich, dass die Fahrt nicht in das von mir gewünschte Parkstone Hotel ging, welches direkt neben dem Flugplatz am Strand lag. Der Fahrer hatte den Auftrag, mich in das weit entfernte Western House Hotel zu bringen. Dort hatte ich vor einem Jahre schlechte Erfahrungen gemacht, weil die ganze Nacht betrunkene Schotten als Gäste einer Hochzeitsfeier in den Korridoren herumgegrölt hatten und ich in der Nacht kaum ein Auge zumachen konnte.

Im Western House Hotel hatte man keine Ahnung von mir und auch kein Zimmer. Also wieder ins Taxi und zum Parkstone Hotel. Dort hatte man ein winziges Einzelzimmer für mich unter dem Dach. Gerade stehen konnte ich nur unter dem Dachfenster und die Grundfläche des Zimmers war kaum 3 x 3 Meter. Nichts für Menschen mit Platzangst.

Aufrecht stehen konnte ich nur unter der Dachschräge

Mein Zimmer: 3x3m

Schnell war der Wettercheck und der Flugplan für morgen gemacht. Ich würde bei tiefliegenden Wolken und Regen auf meine letzte Etappe starten müssen, doch danach würde es ins strahlende Blau und die Hitze Mitteleuropas gehen.

Gegessen habe ich wieder im Hotel. Etwas Gesundes gab es kaum. Die Suppe war zwar fein, doch das Gemüse leider fritiert. Es wird wirklich Zeit, dass ich bald wieder einmal gesundes Essen zu mir nehmen kann.

756 NM (1’400 Km)

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