Tag 9: Sondrestroem-Narsarsuaq

Um 0400 Ortszeit bin ich erwacht, weil der Regen enorm laut an die Scheiben meines Hotelzimmers prasselte. Ich stieg aus dem Bett und schaute raus. Draussen war es hell, der Wind jagte tiefe Wolken über den Platz und ein Windsack zeigte horizontal nach Westen. Es war, wie wenn die Welt untergehen würde!

Mir war sofort klar, dass das Wunder ausgeblieben war, auf das ich noch gehofft hatte. Also ging ich wieder ins Bett, jedoch mit dem Laptop, und begann zum x-ten Mal die aktuellsten Wetterkarten zu beurteilen.

Ein Tiefdruckgebiet über der Davis Strait bestimmte das Wetter im Raum Sondrestroem. Rund um den Platz herum Regen, Vereisungszonen und hohe Wolken, die ich mit der Cirrus nicht übersteigen konnte. Da es laut den Wetterprognosen bis und mit Samstag nicht möglich sein würde das Iceshield zu überqueren und am Sonntag die Flugplätze in Grönland geschlossen sind, war guter Rat teuer.

Immer noch gab es jedoch eine Zone in Richtung Südwesten, die relativ schmal war und wo ich hoffte, sie relativ schnell durchstossen zu können. Nördlich von Nuuk war das Wetter bereits gut! Ich habe sicher eine Stunde lang alle Modelle und alle Optionen studiert und kam zu folgendem Schluss:

  • Plan A: Ein Flug über das Iceshield mit einer Cirrus ohne Turbolader war zum abhaken. Unmöglich!
  • Plan B: Aussitzen und warten. Das wäre die sicherste Lösung. Aber einfach Daumen zu drehen ist eher nicht mein Ding.
  • Plan C wäre ein Flug von Sondrestroem entlang der grönländischen Westküste nach Narsarsuaq, dort übernachten und morgen die Chance nutzen, um im malerischen Kulusuk auf der Schotterpiste zu landen. Das wollte ich ja eh schon auf dem Hinflug. Nachteil war einzig, die Geschichte mit dem Eis…!

Ich entschied mich für den Plan C und überlegte mir jedoch lang und breit, wie ich mit Vereisung umgehen wollte, welche die Möglichkeiten der Glykolenteisung der Cirrus überschreitet. Wenn es früh, kurz nach dem Start, passieren würde, würde ich sofort umkehren. Dies auch, wenn ich mehr als 1/3 der Enteisungsflüssigkeit gebraucht hätte. In der Mitte der Strecke nach Nuuk, wäre ein Absinken möglich gewesen um in wärmere Luftschichten zu kommen. Wenn ich nördlich von Nuuk zu viel Glykol gebraucht und immer noch in der Suppe gesteckt hätte, wäre ich in der grönländischen Hauptstadt Nuuk gelandet.

Ich versuchte noch den optimalsten Zeitpunkt für den Start zu finden und dies schien mir um 1300 UTC = 1100 LT zu sein. Ich machte den Flugplan fertig, schickte ihn per Mail an das FBO, hüpfte unter die Dusche und ging dann frühstücken.

Anschliessend alles einpacken, Zähne putzen, auschecken und dann feststellen, dass das FBO so im Stress war, dass sie mich nicht abholen konnten. Also dann halt im strömenden Regen zu Fuss zum FBO. Dort ging es wirklich drunter und drüber. Zwei Crews von grossen Gulfstream Business-Jets wollten abgefertigt werden und die total drei Passagiere der beiden Jets sassen gelangweilt auf dem einzigen Sofa im Raum.

Ich habe erfahren, dass man meinen Flugplan so nicht akzeptieren könne. Es braucht anscheinend mindestens jede Stunde in Grönland auf Flughöhen unter FL 180 einen Waypoint mit EET (Estimated Elapsed Time, voraussichtliche Flugdauer bist zu diesem Punkt). Man lernt nie aus! Also habe ich noch zwei Punkte manuell eingefügt und dann war der Herr im FBO zufrieden.

Nachdem die beiden Gulfstream Captains und ihre beiden Copiloten fünf Minuten vor der Karte standen und die grönländische Hauptstadt Nuuk gesucht haben, ging ich zu ihnen und habe ihnen erklärt, dass die Karte an der Wand nur die 50 Kilometer Umkreis von Sondrestroem abdecke und Nuuk viel weiter im Süden sei. Sie haben mich fassungslos angeschaut, sich dann aber bedankt. Sie denken halt in grösseren Dimensionen…!

Als die Jets abgefertigt waren, war endlich ich an der Reihe, bezahlte meine Rechnung und wurde zur Cirrus gebracht. Dort war High Life. Mehrere Jets wurden vorbereitet, eine Challenger der dänischen Luftwaffe rollte weg und mittendrin die kleine Cirrus aus der Schweiz.

Nach dem Aussencheck füllte ich noch den Glykoltank vollständig auf, richtete das Cockpit ein und verlangte dann die Startup Clearance. Ich erhielt lediglich die Pistenrichtung und das QNH 1000. Als mein Motor dann lief, fragte ich nochmals nach der Clearance und erhielt die Route W36, den Squawk 1334 und die Aufforderung nach dem Start eine Linkskurve zu fliegen um den Weg für die Jets frei zu machen.  Den Runup machte ich am Abstellplatz, bekam die Erlaubnis um zum  Rollweg 27 BRAVO zu rollen und dann war ich ready to go.

Der Rückenwind war enorm stark, brachte die Cirrus in ein leichtes Schlingern und verlängerte die Startrollstrecke. Kaum in der Luft fuhr ich die Landeklappen ein stieg auf sichere Höhe und drehte dann erst nach links ab, als ich im Funk hörte, dass der nächste Jet bereit war.

Ich war sofort in den Wolken und stieg auf die Reiseflughöhe von FL 110. Ab FL 090 begann es Eis anzusetzen und die Steigleistung liess deutlich nach. Intermittierend habe ich die Enteisung für eine Minute eingeschaltet und dann wieder für vier Minuten ausgeschaltet. Die Zeiten habe ich mit dem Timer im Transponder jeweils gestoppt, um den Glykolverbrauch abschätzen zu können.

Kurz sah ich die gebirgige Landschaft unter mir, als die Wolken den Blick auf Mutter Erde freigaben, doch sofort haben sich mich wieder verschluckt. Ein heftiger Gegenwind von bis zu 40 Knoten verhinderte, dass ich schnell aus der Suppe rauskam. Dann endlich, etwas nördlich von Nuuk kam ich nach 5/4 Stunden wieder in Sichtbedingungen und von da an war der Flug problemlos.

Das MFD funktionierte und ich flog in einer Seelenruhe die grönländische Westküste runter. Je weiter ich nach Süden kam, desto besser wurde – wie erwartet – das Wetter und ganz im Süden hatte das Wasser dann fast karibisch Farben. Spektakuläre Gletscher schickten kleine Eisberge auf ihre Reise ins Meer.

Die grönländische Hauptstadt Nuuk, mit 16’000 Einwohnern.

Am Waypoint SI verabschiedete ich mich von Nuuk Information und fädelte mich auf den Instrumentenanflug auf die Piste 07 von Narsarsuaq ein. Eigentlich wollte ich einen Fjord Approach nach Sicht machen, doch die Landschaft war so unübersichtlich, dass ich froh war, den Instrumentenanflug programmiert zu haben.

Ja, es ist tatsächlich so, dass das Management der Höhe, mit der Höhenvorwahl im Autopiloten, das A und O für einen sauberen Anflug auf Narsarsuaq ist.

 

Wer hier nicht sauber fliegt, kann in Instrumentenbedingungen Opfer dieser Felswände werden. Und…, wichtig: Man ist nicht unter Radarkontrolle!

Eindrücklich auch, wie knapp man zum Teil die Bergketten überquert und dass man die Piste erst im letzten Moment sieht. Um mehr Zeit für alles zu haben, flog ich das ganze Procedure mit Flaps 1 und habe auch rechtzeitig Flaps 2 gesetzt. So war alles kein Problem und ich landete ohne Stress auf der Piste 07. Doch es ist klar, dass Narsarsuaq in Instrumentenbedingungen einer der anspruchsvollsten Flugplätze der Welt ist.

Der Flugplatz liegt unterhalb der Gletscherzunge. Hier sieht man ihn noch nicht.

Jetzt sieht man ih, kann jedoch mit dem Endanflug erst beginnen, wenn man diese Krete sicher überflogen hat.

So sollte es am Schluss aussehen

Der Controller wollte wissen ob ich tanken wollte, was ich bejahte. Dies hat mich etwas erstaunt, weil wir ja alles schriftlich bestätigt hatten…!

Am Taxiway BRAVO wartete ein Marshaller auf mich und positionierte die Cirrus mitten auf dem Vorfeld in der Nähe einer Boeing 737. Der Marshaller kam mit riesigen Chocks um die Cirrus vor dem Wegrollen zu sichern. Die Dinger waren so gross, dass ich den Verdacht hatte, sie stammten noch von einem B-17 Bomber aus dem zweiten Weltkrieg. Ich rief raus, dass ich meine eigenen – kleinen und zierlichen – Cirrus-Chocks dabei hätte und er verschwand wieder mit seinen Klötzen.

Dann kam er zurück und fragte mich in einem sehr schlechten englisch, ob ich tanken wollte. Wieder habe ich dies bejaht. Darauf meinte er, dann müsse ich die Maschine umparkieren. Wenn ich etwas hasse, dann sind dies Hotstarts des Motors. Als  es beim dritten Versuch nicht gelang, entschied ich, dass wir die Maschine besser mit der Towbar an den neuen Abstellplatz 50 Meter zur linken ziehen, statt die Batterie zu töten und morgen früh dann ein Problem zu haben. Meine Hand hatte natürlich an diesem Manöver alles andere als Freude, doch schliesslich war es getan und die Cirrus wurde randvoll betankt.

Ich fand dann schliesslich die Flugplatzadministration und stellte fest, dass ich dort zwei Damen in ihrer Langeweile gestört habe. Eigentlich wollten sie heute gar keine Formulare mehr ausfüllen und vertrösteten mich auf morgen. Immerhin waren sie bereit, mir den Shuttle ins einzige Hotel am Ort zu organisieren.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Flugplatz als US-amerikanische Militärbasis erbaut. Die ersten Flugzeuge vom Typ Consolidated B-24 landeten hier im Januar 1942. Der Flugplatz mit der militärischen Bezeichnung Bluie West One Airfield wurde ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und eine Tankstelle für US-Flugzeuge auf dem Weg zu und von den Kriegsschauplätzen. Während des Krieges sollen rund 4’000 Amerikaner am Betrieb beteiligt gewesen sein, und es wird geschätzt, dass dort auf der Route zwischen Europa und den Vereinigten Staaten etwa 10’000 Flugzeuge abgefertigt wurden. Die Basis war auch in geringerem Umfang an der Bekämpfung deutscher U-Boote im Nordatlantik beteiligt.

In der Zeit von 1941 bis 1958 wurde sie von der United States Air Force betrieben. Beim Unternehmen Berliner Luftbrücke 1948–1949 war das Bluie West One Airfield ebenfalls von Bedeutung. Flugzeuge mit amerikanischen Hilfsgütern mussten in Narsarsuaq zum Auftanken zwischenlanden.

1951 wurde vereinbart, dass Dänemark und die USA den Flugplatz gemeinsam nutzen. Während des Koreakrieges von 1951 bis 1954 wurde Narsarsuaq von den US-Streitkräften wiederbelebt und große Teile der Basis renoviert und ausgebaut. In unmittelbarer Nähe wurde ein 250-Betten-Krankenhaus errichtet, um die Verwundeten aus dem Koreakrieg zu versorgen.

1958 wurde die US-Basis zugunsten der strategisch bedeutenderen Thule Air Base im Norden Grönlands geschlossen. Nach Umbauarbeiten wurde der Flugplatz 1959 durch die dänische Regierung als Flughafen für den zivilen Luftverkehr neu eröffnet.

Das Hotel, die ehemalige Kaserne, ist jedoch zweckdienlich und sauber und zudem mit einem hervorragenden Restaurant ausgestattet. Ein Spaziergang an den Fjord hat mich zufrieden gemacht, ich sass am Wasser, schaute den Eisbergen zu und genoss den Wind im Gesicht. Eigenartig, wie einem so einsame Orte berühren können.

Narsarsuaq hat nur 139 Einwohner (Stand 2017). Der Name des Ortes bedeutet „grosse Ebene“. Die Hauptarbeitgeber sind der Flughafen und ein Hotel. In der Umgebung wohnen weit verstreut einige hundert Menschen, die als Schafbauern und Fischer beschäftigt sind. Die nächstgelegenen Orte sind Narsaq und Qaqortoq (Julianehåb), die aufgrund des völligen Fehlens von Strassenverbindungen nur mit dem Schiff oder dem Helikopter erreichbar sind. Das grönländische Inlandeis ist 9 Kilometer entfernt und kann in einem vier- bis fünfstündigen Fussmarsch erreicht werden. Auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords liegt die ehemalige Wikingersiedlung Brattahlíð.

Ich habe anschliessend die morgigen beiden Flüge vorbereitet, ging im Restaurant noch etwas essen und klemmte mich dann hinter den Tagesbericht. Das MFD bereitet mir immer noch Kopfschmerzen. Heute ging es perfekt, doch etwas stimmt einfach nicht. Airservice Basel wollte es austauschen, der Spezialist bei meinem Wartungsmanager meinte, man müsse nur die Kontakte putzen. Ich befürchte, dass ich mit dem verd… Ding noch nach Hause fliegen muss!

490 NM (907 Km)

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