D+6: Sondrestrom BGSF – Reykjavik BIRK

D+6: Samstag, 26.7.2014 (Sondrestrom BGSF – Reykjavik BIRK)

In der Nacht – die es hier um diese Jahreszeit eigentlich kaum gibt – war ein Deutscher Airbus mit den Passagieren für das Kreuzfahrtschiff MS AZORES angekommen, welches im Fjord in der Nähe der Airbase vor Anker lag. Es wuselte im Hotel kurz von hunderten von Deutschen, welche eine Kreuzfahrt von Kangerlussuaq nach Bremerhaven gebucht hatten. Interessant ist auch, dass die MS AZORES einmal MV STOCKHOLM hiess. Ob die Touristen gewusst haben, dass ihr Schiff am 25. Juli 1956 in die Kollision mit dem Italienischen Luxusliner ANDREA DORIA verwickelt war, welcher daraufhin  – auf den Tag vor 58 Jahren – am 26.7.1956 sank?

Auch heute bin ich wieder um 0400 aufgestanden um die Wettersituation zu beurteilen. Eigentlich sah es recht gut aus. Einziges Risiko bei einem Flug über das Icecap Grönlands ist jeweils die Vereisung.

In Wolken hat es bei Lufttemperaturen unter dem Gefrierpunkt immer sogenannte Super Cooled Water Droplets. Treffen diese auf ein Flugzeug gefrieren sie sofort und werden zu Eis. Für ein Flugzeug gibt es dann die folgenden Möglichkeiten:

  1. Steigen um aus den Wolken heraus zu kommen, sofern man dies kann und die Wolken nicht sehr weit hinauf reichen.
  2. Sinken bis die Aussentemperatur über dem Gefrierpunkt liegt.
  3. Einschalten eines Enteisungssystems, sofern man eines hat.

Die N138CR ist zwar mit einem Enteisungssystem ausgerüstet. Das dazu notwendige Glykol reicht jedoch nur für ca. eine Stunde. Das Risiko beim Flug über das Icecap ist zudem, dass die Gletscher zum Teil auf einer Höhe von 3000 m liegen, die Berge zum Teil bis 4’000 m hoch sind und in diesen Regionen ein Absinken unmöglich ist, um in Gefilde zu kommen, wo die Lufttemperatur über dem Gefrierpunkt liegt.

Ich habe den Flugplan auf FL 130 nach Reykjavik erstellt, diesen fotografiert und ans FBO auf der Airbase geschickt. Der Flugplan sah folgende Route vor: SF W28 DA DCT VAXAN DCT 65N035W DCT GIMLI DCT. Dann ging ich das bereits bekannte Frühstück aus Haferflocken mit Milch und einem trockenen Brötchen einnehmen, packte meine Sachen und bestellte den Shuttle zur Base. Da die Cirrus bereits betankt war, ging es nur noch darum die Rechnung für den Sprit zu bezahlen und mich dann zur Maschine bringen zu lassen.

Da stand sie nun die N138CR, einsam auf dem riesigen Rollfeld und es blies ein heftiger kühler Westwind. Ich hatte nun noch eine ganze Stunde Zeit, Zeit um in Ruhe Ordnung im Cockpit zu schaffen, Zeit um alles so zu verstauen wie es Sinn machte und dann – wieder in Ruhe – den Frankenstein anzuziehen.

Um 0952 startete ich auf der Piste 09 und drehte, sobald ich genug Höhe hatte, auf meinen Kurs nach Osten. Die Cirrus stieg langsam auf den zugewiesenen FL 130. Ich spürte keine Turbulenzen und unter mir zog eine wahnsinnige Landschaft vorbei, eine Landschaft, die einem spüren liess, wie winzig man ist, eine Landschaft, die einem Demut abringt. Dies sind Momente im Flug die sich im Kopf einbrennen, Momente, die man nur als Pilot erleben kann.

Einen Moment lang habe ich es bereut, den schwierig anzufliegenden Flugplatz Kulusuk BGKK nicht angeflogen zu sein, doch dann sah ich, dass er unter einer Wolkenbank verdeckt war. Hier hätte ich keine Chance gehabt runter zu kommen und auch der Propeller der Cirrus hätte wenig Freude an der Kiespiste in Kulusuk BGKK gehabt.

Bis zu einer Entfernung von 90 NM von der Airbase war ich im kontrollierten Luftraum von Sondrestroem BGSF. Dieser kontrollierte Luftraum mit 90 NM Radius ist jedoch nicht auf allen Karten eingezeichnet. Als ich die Grenze des kontrollierten Luftraumes beim Waypoint PEVAR erreicht hatte, übergab mich Sondrestroem Approach an Sondrestroem Information 121.3. Da ich jetzt nicht mehr in der Radarüberdeckung und auch die Funkverbindung fraglich war, musste ich nun wieder nach dem „Schema F“ kommunizieren:

Pilot: Sondrestroem Information von Cirrus N138CR Position

Sondrestroem Info: Go ahead

Pilot: PEVAR 1233, FL 130, next MASIK, estimate 1340, subsequent DA

Sondrestroem Info: That’s copied, maintain FL130. Are you HF equiped?

Pilot: Negative

Sondrestroem Info: Are you sat phone equipped

Pilot: Affirm

Sondrestroem Info: In case you need to contact me between  PEVAR and MASIK and have no contact, do it via relay on 127.85 or Sat Phone 881 621 442 449

Pilot: In case I need to contact you between PEVAR and MASIK, do it via relay on 127.85 or Sat Phone 881 621 442 449

Lunch unterwegs

Da ich über einer geschlossenen Wolkendecke dahinzog war der Flug ziemlich ereignislos. Wieder musste ich zwischendurch gegen den Schlaf kämpfen. Statt eine Fliege wie Charles Lindbergh hatte ich eine grönländische Mücke im Cockpit, die ich nach einer Stunde endlich erwischt habe!  Über mir war ein milchig blauer Himmel und unter mir war alles weiss. Am Funk lief kaum etwas. Als ich näher zum Waypoint MASIK an der grönländischen Ostküste kam, sah ich am Horizont Berggipfel. Da mir dies noch nie aufgefallen war, erweckte es meine Aufmerksamkeit. Als ich näher kam realisierte ich einmal mehr, dass meine Wolkendecke über der ich vermeintlich flog schon längst keine Wolkendecke mehr war, sondern blankes Eis und Schnee.

Was sich dann nach dem Waypoint MASIK auftat, das war unbeschreiblich. In der Gegend von Kulusuk war eine atemberaubende und riesige Fjordlandschaft wie ich sie noch nie gesehen habe. Blauer Himmel, blaues Wasser, überall Schnee, Eis und im Wasser trieben tausende von Eisschollen und Eisbergen.

Beim Waypoint MASIK und beim NDB DA musste ich wieder meinen Standard Position Report abliefern und bei VAXAN mit Iceland Radio auf 121.85 Kontakt aufnehmen. Dort erhielt ich wiederum eine Oceanic Clearance für die Strecke 65N030W nach GIMLI. Auf dieser Strecke hatte ich dann erstaunlicherweise dauernd Funkverbindung. Es lief doch noch viel am Funk auch wenn die meisten Crews CPDLC meldeten. CPDLC steht für Controller Pilot Data Link Communication. Die Flugverkehrsleiter können so von ihrem Radarbildschirm aus den Piloten Anweisungen geben, die im Flugzeug-Cockpit als vorformatierte elektronische Kurzmitteilungen angezeigt werden. Das Instrument bringt somit die Automatisierung der Flugsicherungssysteme einen Schritt voran. Das Potenzial von CPDLC ist enorm, wird aber derzeit vor allem wegen der noch ungenügenden Ausrüstung der Flugzeuge wenig ausgeschöpft. Dank CPDLC konzentrieren sich die FlugverkehrsleiterInnen auf Aufgaben mit hoher Wertschöpfung und werden von bestimmten Routinekommunikationsvorgängen entlastet, die neu nicht über Funk, sondern über elektronische Datensysteme ablaufen. Das Tool verspricht zwei Vorteile: Erstens verringert es die Arbeitsbelastung der FlugverkehrsleiterInnen und erhöht so die Kapazität, zweitens verbessert es dank den klaren und eindeutigen Data Link-Dialogen die Sicherheit.

Bei GIMLI musste ich auf 119.7 mit Reykjavik Control Kontakt aufnehmen und keine Positionsmeldungen mehr machen, weil ich vom Radar erfasst war. 20 NM vor Reykjavik begann ich dann einen langsamen Sinkflug. Aufgrund des Windes aus Nordost war die Piste 31 in Betrieb. Da das Wetter erstaunlich gut war, erhielt ich die Anweisung einen Sichtanflug zu machen.

Drei Pisten und sechs Landerichtungen können nach einem langen Atlantikflug schnell zu Fehlern führen. Ich habe deshalb im Flight Management-System einen RNAV Anflug auf die Piste 31 programmiert und konnte dann schön auf diesen Anflug auflinieren und den Flug mit einer weichen Landung abschliessen.

Die Grenzbeamten standen schon an der Maschine, bevor ich den Motor abstellen konnte. Es waren die gleichen wie vor wenigen Tagen, wollten wieder wissen ob ich ein Ferry-Pilot sei und die Maschine einem Kunden ausliefere und wieder musste ich das gleiche Formular noch auf der Tragfläche ausfüllen bevor sie dann mürrisch verschwanden. Die heute abgeflogene Strecke: 746 NM (1’200 Km) und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 166 Kn (307 Km/h).

Der Chef vom Handlingdienst BIRK kaute wie immer nervös auf seinem Kaugummi herum, wirkte wieder ziemlich verwirrt und sagte mir, dass er nicht gewusst hätte, dass ich komme und dies obwohl er mir sechs Stunden vorher meine Ankunft per E-Mail bestätigt hatte. Handling ist hier Pflicht, kostet 144 Euro, doch eine Leistung erbringen sie keine. Sie machen den Piloten höchstens Arbeit! Ich bat ihn die Maschine auftanken zu lassen, nachdem ich mich meines Frankensteins entledigt hatte. Dabei sah er mich fassungslos an und erklärte mir stotternd, dass dies nicht gehe und ich zur Bbbbbbbb… Benzinpumpe an einer anderen Ecke des Flughafens hätte rollen müssen. Ich fragte ihn wieso letztes Mal der Truck mit dem Yeti kommen konnte (der der dann fast das Flugzeug abgeschossen hat) und wieso dies jetzt nicht gehe. Er stotterte etwas, dass der Fffffff… Fuel Truck „auf dem Lande“ sei…! Aha…! Ich sagte ihm ich würde morgen früh entscheiden was ich weiter vorhabe und trabte davon. Kaum war ich zur Türe raus, rannte er mir nach und fragte „do you want to leave“! Yes! Er sagte er hätte keine Angaben zu meinen Personalien, was ich mit einer Schräghaltung des Kopfes quittierte, was bei ihm wieder ein Stottern auslöste. Ich erklärte ihm, ich sei doch vor wenigen Tagen hier gewesen und er hätte alle Daten aufgenommen. Erstaunt musste ich dann zur Kenntnis nehmen, dass dies nirgendwo erfasst war und ich somit den ganzen Papierkrieg nochmals machen musste. Ich wiederhole…: 144 Euro fürs Handling!

Im recht guten Icelandair Hotel 50 Meter vom Flugzeug weg bezog ich ein Zimmer und ging dann zuerst einmal etwas Vernünftiges essen.  Wieder war das Hotel voll von Grauen Panthern, alle mit Schöffel- und Mammut-Jacken, alle trugen leichte Hiking Schuhe, schleppten leere Rucksäcke herum und warteten auf den Bus, der sie zum nächsten Fotostopp bringen würde. Fast alle waren deutscher Sprache und es hatte auch sehr viele Schweizer dabei! Eigenartige Art seinen Urlaub zu verbringen, doch das würden sie von mir wohl auch sagen!

Im Zimmer begann ich dann die Fotos zu sortieren, habe noch eine Handwäsche gemacht und auch versucht mir einen groben Überblick über meine weiteren Möglichkeiten zu verschaffen. Ein grosses stationäres Tiefdruckgebiet zwischen Island bzw. Schottland und Norwegen verhiess nichts Gutes. Es verhiess zudem auch nichts Gutes, dass Norwegen im Moment eine fast paranoide Angst vor Terrorangriffen hatte. Ich hatte als nächsten Stopp Bergen ENBR eingeplant. Privatflugzeuge durften jedoch seit einem Tag nicht mehr über Bergen fliegen, und bei der Einreise in das Land mussten auch EU-Bürger einen gültigen Pass oder Personalausweis vorweisen. Der norwegische Geheimdienst vermutete, Islamisten aus Syrien könnten Anschläge planen. Es lägen „nicht spezifische“, aber als „glaubwürdig“ eingeschätzte Hinweise vor, dass rückkehrende Kämpfer aus dem syrischen Bürgerkrieg Terrorakte verüben könnten. Ich habe heute noch nicht ganz verstanden, wieso man ein Attentat begeht, wenn man es geschafft hat lebendig aus einem Krieg zurück zu kommen.

 

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