D+2: Reykjavik BIRK – Sondrestrom BGSF

D+2: Dienstag, 22.7.2014 (Reykjavik BIRK – Sondrestrom BGSF)

Um 0430 UTC bin ich wieder erwacht. Dies entsprach auch der Lokalzeit (LT = Local Time) in Reykjavik. Das Wetter war fürchterlich…, kühl und Nieselregen! Irgendwie habe ich nicht verstanden, wieso ich bis 0900 UTC hätte aufs Wetter warten müssen, da ich schon im warmen Bett alle Meteodaten für den bevorstehenden Flug abrufen konnte. Ich habe alles wieder und wieder überprüft und obwohl die Spritsituation in Iqaluit CYFB noch alles andere als klar war, habe ich mich entschieden, den Flug nach Sondrestrom BGSF anzutreten. Es gab die folgenden Überlegungen dazu:

  • Ich hatte – so wie es aussah – leichten Rückenwind und den wollte ich nutzen;
  • Die Meteo in Grönland schien OK mit einem stationären Hochdruckgebiet;
  • Die Meteo sah zudem gemäss TAF für Sondrestrom BGSF und Kulusuk BGKK an der Ostküste Grönlands gut aus. Ich hätte nötigenfalls also auch dort landen können.
  • Ein Aufenthalt in Island machte keinen Sinn, da die Meteo schlecht war und ich mich wie in einem Altersheim fühlte. Ja ich weiss…: auch bei mir ist es bald so weit, aber vorläufig noch nicht!

Ein weiteres Problem waren meine Kleider, die ich letzte Nacht gewaschen hatte. Sie waren noch nicht ganz trocken. Da half nur der alte Trick aus dem Militärdienst: feucht anziehen und 30′ später ist es durch die Körperwärme trocken. Und… nein ich habe noch kein Rheuma davon. Immerhin duftete ich jetzt wieder wie eine Rose.

Nach einem leichten Frühstück packte ich meine Sachen, bezahlte das Hotel und ging die 20 Meter zum Handling. Mich hat es interessiert, ob man mir noch einige Tipps geben konnte, doch dem war nicht der Fall. Die intensive Vorbereitung machte sich bezahlt, denn niemand – wirklich niemand – hilft einem hier. Man muss wirklich wissen, wie die Gepflogenheiten sind und alles selbst überprüfen. Der Typ von BIRK Handling schien wieder wie auf Drogen zu sein, konnte sich an nichts mehr erinnern, was wir abgemacht hatten und wollte jedoch unbedingt den Flugplan für mich aufgeben! Leider habe ich eingewilligt und musste den Flugplan dann doch korrigieren. Trau schau wem…, wie mein Vater schon immer gesagt hat.

Auf dem Vorfeld machte ich die Maschine bereit. Neben all den Turboprops und Jets war die N138CR ein kleiner Zwerg. Ich hatte einen kurzen Schwatz mit drei Kanadiern, die mit ihrer TBM 700 nach Goose Bay fliegen wollten. Sie haben sich ziemlich verblüfft im Cockpit meiner Cirrus umgesehen und bewunderten meine Avionik mit all den Bells and Whistles (Glocken und Pfeifen).

Die Kanadier machten einen sehr professionellen Eindruck auf mich, zogen trotz ihrer sehr zuverlässigen PT6 Turbine die Survival-Anzüge an, rollten bald los und stoppten gleich wieder. Sie hatten vergessen, die Türe des Gepäckabteils zu schliessen! So etwas passiert, wenn mehrere Leute verantwortlich sind. Jeder meint, dass es der andere gemacht hat. Ich habe mich auch wieder an alte Tugenden aus meinem Militärdienst erinnern dürfen. Weil ich einen der Reisverschlüsse an meinem Pilotenkombi nicht verschlossen hatte, hatte ich gestern fast eine meiner Lesebrillen verloren.

Auch die Kameraden von der Zeitschrift PILOT UND FLUGZEUG waren in Reykjavik. Sie waren in ihrer prächtigen Piper Cheyenne auf dem Weg nach Oshkosh, dem Mekka der General Aviation, wo jedes Jahr das grösste Fliegertreffen der Welt stattfindet. Ja…, die Welt ist manchmal klein! Immer wieder kamen Leute und wollten mit mir plaudern und dabei wollte ich doch nur die N138CR bereit machen. Schliesslich war es so weit, der Flugplan wurde mit der Route GIMLI 65N030W DA MASIK PEVAR DCT bewilligt und ich zog auf dem Rollfeld den Frankenstein wieder an. Es schien keinen Menschen zu kümmern, dass da ein Pilot im Nieselregen in Unterwäsche herumstand und bald war ich im Schutzanzug eingepackt.

Um 0920 UTC habe ich meine Start Up Clearance eingeholt, wiederholte – mittlerweile hatte ich Übung – problemlos die Clearance, startete den Motor, programmierte das Flight Management System und dann war ich unterwegs zum Holding Point Alpha der Piste 19. Mit einem KEFLAVIK 2 Departure verabschiedete ich mich um 0932 UTC aus dem düsteren Altersheim Reykjavik. Reykjavik Tower gab mich bald an Reykjavik Approach auf 118.7 weiter, dort bekam ich einen Direct zum Waypoint GIMLI und bekam als nächste Frequenz Reykjavik Control auf 119.7. Ich stieg zwischen dunklen Wolkenschichten auf FL 120 und schaute nochmal zurück auf Reykjavik. Die Kanadier vor mir meldeten keine Vereisung und so hatte ich für den Moment wenigstens dieses Problem nicht. Als ich meine Reiseflughöhe erreicht hatte, erhielt ich die Anweisung Iceland Radio auf 126.55 zu kontaktieren. Auf dieser Frequenz musste ich mehrere Meldungen für den Oceanic Positionreport machen. Zwischen verschiedenen Wolkenschichten zog die Cirrus mit einer Groundspeed von 185 Kn nach Westen. Zu sehen gab es nicht viel, da ich über einer Wolkendecke flog. Ich habe Notizen gemacht, die nächsten Position Reports vorbereitet und zwischendurch geschaut, ob alle Instrumente im grünen Bereich sind.

Bei 65N030W kam ich in weisse Wolkengebirge und wie erwartet, setzte die Cirrus sofort Eis an. Ich startete das Enteisungsystem aber liess es – um Glykol zu sparen – immer nur etwa eine Minute laufen und wartete dann wieder fünf Minuten. Die Flügel blieben so lange benetzt und es war kein weiterer Eisansatz festzustellen. Da ich jedoch keine Ahnung hatte wie lange der Wolkenflug noch gehen würde, mein Glykolvorrat beschränkt war und ich auch merkte, wie die Maschine durch den Eisansatz langsamer wurde, habe ich Iceland Radio auf 127.85 gebeten mich auf FL 140 steigen zu lassen. Nach einer fünfminütigen Abklärung – während der ich weiter Eis angesetzt habe – hat es der Controller bewilligt. Ich musste jedoch das Verlassen von FL120 und das Erreichen von FL 140 melden. Bei VAXAN begann der unkontrollierte Luftraum von Sondrestrom und ich musste auf 121.3 mit Sondrestrom Information Kontakt aufnehmen. Die Meldung sah wie folgt aus: Sondrestrom from Cirrus N138CR, Position VAXAN at 1132, FL 140, expect DA at 1154, MASIK next. So ging es weiter. Bei DA wurde z.B. wieder nach dem gleichen Schema an Sondrestrom auf 121.3 gemeldet: Position DA at 1155, FL 140, MASIK („MÄSIC“ nicht MASIK) at 1223, PEVA next. So langsam wurde ich zu einem Experten.

Ich hatte mich so sehr auf die Sicht auf Grönland gefreut, doch ich war auf FL 140 und unter mir eine geschlossene Wolkendecke. Wenigstens hatte ich keine Vereisung mehr denn die Aussentemperatur war bei minus 8 Grad. Kurz vor der Küste habe ich einen kleinen Eisberg gesehen und versuchte ihn zu fotografieren. Das Loch in der Wolkendecke war aber gleich wieder zu. Schade, schade…! Die Funkabdeckung auf der Route ist für Maschinen die so tief fliegen wie ich, natürlich sehr beschränkt. Dies zeigt die Überdeckungskarte sehr schön.

Ein Sinkflug über dem Icecap von Grönland bei Vereisung des Flugzeuges wäre unmöglich. Eis und Berggipfel gehen hier auf 3’000 bis 4’000 Meter und man sieht oft nicht einmal was Eis und was Wolken sind. Es ist einfach alles weiss. Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas gesehen. Hier eine Notlandung machen zu müssen wäre sehr ungemütlich und dies trotz Kälteschutz-Ausrüstung und Polarzelt! Erst recht war ich froh alles dabei zu haben.

Der Datalink meldete mir für Sondrestrom folgendes Wetter: Wind aus 080 Grad mit 11 Knoten, keine Böen, Sicht 9000m, Temperatur 16 Grad, Taupunkt 3 Grad und einen Luftdruck von 1008 hPa. Beim Cloud Cover  stand nur: Sky Clear! Ich hatte wieder gegen dann Schlaf zu kämpfen… und mindestens meine Hände waren schon eingeschlafen weil die Manschetten des Schutzanzuges so eng waren.

Kurz vor PEVAR entdeckte ich einen dunklen Punkt schräg unter mir. Unterwegs – mitten im unendlichen Eis – plötzlich ein dunkler Fleck. Meine erste Reaktion war dass es ein anderes Flugzeug war, bis ich feststellte, dass es eine Radarstation war, die auf dem ewigen Eis stand. Es war die DYE-2 Radarstation aus dem Kalten Krieg mit dem Code-Namen „SEA BASS“ auf Position 66°29′N 46°18′W. Sie lag auf einer Höhe von 7’650 ft (2’330m) und hätte im Kalten Krieg mit anderen ähnliche Stationen rechtzeitig vor einfliegenden ballistischen Raketen aus der Sowjetunion warnen sollen. Die Anlage ist 45 Meter hoch und beschäftigte über  100 Spezialisten der NATO. Versorgt wurde die Anlage mit C-130 HERCULES, die mit Schneekufen ausgerüstet waren und von der Basis Sondrestrom eingesetzt wurden. Die 600 MHz AN/FPS-30 Radar-Antennen waren in Kuppeln mit 18m Durchmesser untergebracht. Um sich die Abbruchkosten zu sparen wurden die Anlagen nach dem Ende des Kalten Krieges so rasch verlassen, dass man heute – wie man hört – sogar noch angebissene Sandwiches darin findet. Langsam versinkt DYE-2 nun im ewigen Eis (weitere Informationen unter www.firebirds.org). Gleichzeitig realisierte ich, dass das unter mir keine Wolken waren, sondern blankes Eis! Und dann kam eine Landschaft zum Vorschein wie ich es noch nie gesehen habe. Riesige Eisflächen waren übersät mit leuchtend hellblauen Gletscherseen. Ich war einfach überwältigt, die Müdigkeit war weg und ich habe unzählige Fotos geschossen.

Die Landung auf dem riesigen Platz Sondrestrom um 1400 UTC verlief völlig unspektakulär. Es hat dort kilometerlange Tarmacs und nicht sehr viel Betrieb. Ein Marshaller winkte mich an den Rand des riesigen Rollfeldes und ich stellte Systeme und Motor ab. Der Marshaller brachte mich dann direkt ins Hotel Kangerlussuaq und ich begann mich sofort mit den Vorbereitungen für den morgigen Tag zu befassen. Ausser dem Flughafen ist hier in Sondrestrom nichts. Es ist der grösste Flughafen in Grönland und dient vor allem den Passagieren von den kleinen Flughäfen zum umsteigen in die grossen Jets, welche sie dann nach Europa oder in die USA oder nach Kanada bringen. Die Basis wurde 1941 von den Amerikanern gebaut und nach dem Ende des Kalten Krieges 1992 den Dänen übergeben. Man ist hier wirklich am Ende der Welt und so fühlte sich auch das Nachtessen in der Kantine des Flughafens an. Englisch sprach niemand und so musste ich meine spärlichen Dänischkenntnisse aus einem früheren Leben anwenden.

Ich stand nun an der Schwelle zum amerikanischen Kontinent. Falls das Wetter am Folgetag mitmacht würde, hätte ich in Iqaluit CYFB nach 3.5h Flug kanadischen Boden betreten können. Leider hatte ich heute aber erfahren, dass der ominöse Eisbrecher erst Mitte August den Sprit nach Iqaluit CYFB bringen könne. Ich habe mich deshalb – Plan A – entschieden zwei Fässer à 205 Liter einfliegen zu lassen. Nun musste nur noch das Wetter mitmachen!

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