D+5: Ilulissat (BGJN) – Reykjavik (BIRK)

D+5: Donnerstag, 13.7.2017 (BGJN Ilulissat – BIRK Reykjavik)

Heute konnte man schon fast von Ausschlafen reden. Ich habe nämlich bis um 0400 Ortszeit (0800 CH-Zeit) geschlafen. Draussen hat der Wind ums Haus gepfiffen und sogar die Hunde waren ruhig. Ich habe nochmals das Wetter gecheckt und auch noch einige Tage in die Zukunft geschaut. Über dem Nordatlantik und in Grönland braute sich einiges zusammen. Doch heute war ein kristallklarer Tag, kühl, mit unendlicher Sicht. Und der Vorteil des starken Windes war, dass es keine Mücken hatte.

Ich nahm mir Zeit, las noch die Zeitung, packte in Ruhe meine Sachen zusammen und ging um 0700 Ortszeit (0900 UTC) frühstücken. Die „braune Brühe“ welche von verschiedenen aufmerksamen Lesern bemängelt worden war, war nicht braun oder „grönländischer Kaffee“ sondern ein Frühstücksmüesli mit Flocken und Erdbeerjoghurt. Ich habe so etwas lieber als Eier mit Speck.

Um 1000 UTC hatte ich den Shuttle auf den Flughafen bestellt, wohlweislich zwei Stunden vor dem Abflug. Ich ging zuerst auf den Tower, habe dem Lotsten die Hand geschüttelt und ihn gefragt, ob er einen Standardflugplan nach Reykjavik hätte. Dem war nicht so…! Das hat mich schon etwas erstaunt aber er erklärte mir, dass schon monatelang niemand mehr mit einem Kleinflugzeug abseits der Luftstrassen über das grönländische Iceshield geflogen sei.

Also Jeppesen Atlantic Orientation Chart AT (H/L) 1, Massstab und Bleistift auspacken, Linien zeichnen und rechnen. Am oberen Kartenrand kann man ablesen wie gross die Distanzen von Waypoint zu Waypoint sind und diese dann aufgrund der zu erwarteten Groundspeed unter Berücksichtigung des Windvektors in die zu erwartenden Flugzeiten umrechnen. Wie vor dreissig Jahren musste das wieder gemacht werden, doch am Schluss stand der Flugplan mit den zu erwartenden totalen Flugzeiten an jedem Waypoint EET. Der liebe Controller hat gesagt, ich solle nicht zu viele Punkte definieren, da dies nur viel Arbeit gäbe. Man würde es dann schon sagen, wenn es zu wenig Waypoints hätte. Dies schien einleuchtend zu sein! Der Flugplan wurde eingereicht und – oh Wunder – tatsächlich akzeptiert.

Der Flugplan wurde tatsächlich bestätigt, doch die Überraschung kam dann im Flug!

Dann der nächste Schritt auf meiner Checkliste…: tanken. Ich ging mal vom Tower runter auf den Apron und fand eine leicht überforderte Vorfeldmannschaft vor. Drei Mann, der Chef vom Chef, ein Chef und der Lehrling, der alle Knochenarbeit machen musste. Alle sprachen nur Inuit, doch irgendwie habe ich erraten, dass sie die elektrische Pumpe auf dem AVGAS-Anhänger nicht mit Batterie betreiben konnten, sondern eine Steckdose dazu nötig war. Aha…! Also musste ich mit dem Flugzeug zur nächsten Steckdose rollen, dann fuhren sie mit dem Schleppzug zweimal um die Cirrus herum, parkierten den Schleppzug vor dem Bug und dann nahm der Lehrling ein grosses Einmachglas.

Nein…, es war nicht für eine Urinprobe, sondern der Stift hat in das Glas etwa einen Liter blau gefärbtes AVGAS eingefüllt und ich musste zum ersten Mal in meinem Leben unterschreiben, dass da kein Wasser drin war! Das habe ich gemacht und dann begann der Tankvorgang. Die beiden Chefs haben unverständliche Dinge geschrien und der Lehrling hat sich beim Tanken alle Mühe gegeben. Ich musste ihm jedoch klarmachen, dass voll für mich VOLL heisst und nicht auf jeder Seite noch 20 Liter Luft. Ich hatte nämlich ausnahmsweise heute keine Lust bei 2 Grad Wassertemperatur im Nordatlantik vor Island meinen Frankenstein zu testen.

Der Lehrling mit der Urinprobe – äh – beim Wassertest!

Auch der Bezahlvorgang verlief interessant. Zuerst ging ich wieder auf den Tower. Erst da viel mir im Übrigen auf, dass die Storen – mit Ausnahme von kleinen Sehschlitzen ganz unten waren. Vermutlich ging es darum, zu viel Sonneneinstrahlung in den stark verglasten Kontrollturm zu verhindern. Aber so konnte der liebe Kerl ja gar nichts sehen… und Radar hatte er ja auch nicht.

Er hat sich dann entschuldigt, dass ich umgerechnet etwa 20 Franken Handlinggebühr bezahlen musste, doch er könne leider nichts dafür. Mit der Rechnung musste ich dann ins Erdgeschoss ins Sekretariat. Dort hat die Dame den Kreditkartenterminal gesucht, der dann irgendwann unter einer Puppe auftauchte. Nachdem ich diese entfernt hatte, ging das Bezahlen fast wie von selbst.

Endlich… eine halbe Stunde vor dem Abflug war ich wieder an der Maschine, habe den Aussencheck gemacht, in der Maschine das Satellitentelefon noch angeschlossen (über dem Iceshield hat es kaum Funkverbindung), mich bis auf Unterwäsche ausgezogen und habe mich in den Frankenstein gezwängt.

Ich habe den Motor gestartet, bekam jedoch keine IFR Clearance, sondern nur den Hinweis, dass ich diese in der Luft bekommen würde. Ich war bereit, rollte auf die Piste und war bei diesem starken Gegenwind nach weniger als der halben Pistenlänge in der Luft.

Aus der Luft boten sich wieder spektakuläre und atemberaubende Bilder! Ich konnte meinen Abschied verkraften, weil ich in zwei Wochen wieder dort sein werde!

Schon bald hatte ich einen Anruf auf meinem Satellitentelefon. Sondrestrom Information, wollte weitere Waypoints und mehr Positionsmeldungen.

Ursprünglich hatte ich die Route BGJN – 69N050W – 68N04W – 66N030W – INDES – BIRK geplant und diese wurde auch so akzeptiert. Zur Erinnerung: Wir haben über Grönland bis FL195 einen Luftraum G und sind darin in der Routenwahl prinzipiell frei. In diesem Luftraum wäre sogar VFR bis FL195 erlaubt. Darüber haben wir einen Luftraum A.

Jetzt musste ich in der Luft nochmals Kartenarbeit mit Massstab und Taschenrechner leisten und hatte dann endlich eine zufriedenstellende Dichte zusammen, mit einem Positionreport pro 5 Längengrad. Die Verbindung mit dem Satellitentelefon war – trotz externer Antenne – auch nicht berauschend. Dass man mir von Sondrestrom Information eine falsche Nummer angegeben hatte, hat das Prozedere auch nicht vereinfacht.

Damit es klar ist…: Die Cailler Nuss ist nicht nur eine Attrappe!

In der Nähe der grönländischen Ostküste kam dann ein gewaltiger Gebirgszug in Sicht, der unsere Alpen vollkommen in den Schatten stellt.

Ich konnte diese wunderbare Landschaft gar nicht richtig geniessen, da ich dauernd damit beschäftigt war, jemanden für meine Positionsmeldungen zu kontaktieren. Auf dieser Teilstrecke war es besonders wichtig, da mich Sondrestrom Information an Reykjavik Information übergeben wollte und ich eine Oceanic Clearance mit einem neuen Transpondercode erhalten sollte. Ich probierte es auf 120.3, dann in der Hoffnung auf ein Relay auf 121.5 oder 123.45, welche ja eigentlich von allen Flugzeugen in dieser Region gerastet werden sollten. Doch keine Antwort!

Dann blieb nur noch der Griff zur „Bibel“ der Piloten. Damit sind die Atlantic Orientation Charts 1/2 gemeint. Diese Karte – es ist über dem Nordatlantik nur die AT(H/L)1 von Bedeutung – enthält eigentlich alle Informationen, die man für den Enroute-Teil benötigt. Ich kann dringend empfehlen, immer wieder in dieser Karte zu lesen, insbesondere auch die „ballnotes“. Diese Karte sollte beim Flug immer griffbreit sein, sie weist in der aktuellen Ausgabe unter anderem die wichtigen Frequenzen aus: Wenn man auf einer zugewiesenen Frequenz, zum Beispiel Iceland Radio 127.85 keinen Kontakt bekommt, dann versucht man es eben auf 123.70 oder man ruft Reykjavik Control auf 132.30. Bei mir hat es auf der zweiten Frequenz geklappt. Hat man eine bestimmte Station nicht erreicht, sondern eine andere, so ist das völlig ohne Belang: Man kann seine Positionreports abgeben, auf welcher Frequenz auch immer, sie werden weitergeleitet an die zuständige ATC-Unit.

Auf der Jeppesen Atlantic Operation Chart  AT (H/L)1 sieht man jetzt südwestlich von Island eine der Frequenztabellen. Auf dieser wurde ich dann fündig und habe jemanden von Iceland Radio erreicht, welcher mich innerhalb der Reykjavik Oceanic CTA weiter betreut  hat, bis ich dann an Reykjavik Approach weiter gegeben wurde. Von ihm habe ich dann endlich einen Squawk bekommen und wenig später einen neuen,

Wer also glaubt, man sitze nur im Flugzeug, lasse den Autopiloten fliegen und habe nichts zu tun, der täuscht sich.

Und schon bald hatte ich diesen Deckel unter mir. Der Controller stellte mir eine für manche Leute harmlose Frage. Er fragte „Are you familiar with Reykjavik“. Instinktiv habe ich „negative“ gesagt. Er wollte mir einen Sichtfluganflug andrehen auf einen Flugplatz, der vollständig von tiefen Wolken verhängt war! Ich habe einen Instrumentenanflug gefordert und bekam diesen dann auch… zum Glück!

Hier das „Loch vom Dienst“ in der Wolkendecke zu suchen erschien mir schwierig. Dazu kommt die Tatsache, dass es im Norden und Osten von Reykjavik recht hohe Berge hat.

So sah es dann aus, als ich auf dem Gleitpfad nach unten rutschte. Vom Flughafen war bis fast am Minimum nichts zu sehen.

Da steht die Cirrus…, direkt vor dem Hotel. Und ich kann aus meinem Zimmer kontrollieren, ob sie noch da ist. Und endlich wieder einmal normale Nahrung…!4h58′ Flugzeit
770 NM (1’426 Km)
59.80 gal (226 Liter) AVGAS verbraucht
Durchschnittliche Geschwindigkeit 159 Knoten (295 Km/h)

 

 

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